Ukrainerinnen offenbar oftmals
illegal vermittelt.
Stand: 02.02.2021 11:15 Uhr
In etwa 300.000 Familien in Deutschland betreuen Osteuropäerinnen Menschen zu Hause. Weil Frauen aus Polen zunehmend höhere Löhne bekommen, schleusen Pflegeunternehmen offenbar Ukrainerinnen oftmals illegal nach Deutschland.
Von Carina Huppertz, MDR,Lukasz Grajewski und Jonas Seufert
Sie sei so froh, wieder zu Hause zu sein, sagt Svetlana. Die 39-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt seit einer guten Woche zurück in der Ukraine. Knapp zwei Monate hat die Ukrainerin vorher in einem kleinen Ort in Sachsen gearbeitet. Als sogenannte „24-Stunden-Pflegekraft“ kümmerte sie sich um eine 80-Jährige Frau, lebte mit ihr und ihrer Tochter in der gemeinsamen Wohnung.
„Es war schrecklich“, berichtet Svetlana. Rund um die Uhr sollte sie arbeiten, die Familie habe sie angeschrien und ihr gedroht. Am Ende reiste sie auf eigene Faust ab. Eine Anlaufstelle habe es für sie nicht gegeben, nirgends Hilfe. Denn sie sei illegal in Deutschland gewesen, sagt Svetlana.
Die Pflegerin Svetlana beschreibt unzumutbare Arbeitsbedingungen. Bild: MDR/FAKT
Svetlana hat für eine polnische Pflegevermittlung gearbeitet, die Firma Senior VIP/ Senior Germany UA. Doch ein Arbeitsvisum für die Bundesrepublik hatte sie nicht, so Svetlana. Angereist ist sie Ende Oktober mit einem Kleinbus, von der Ukraine aus durch Ungarn bis nach Deutschland. „Ich sollte sagen, ich würde nur jemanden in Deutschland besuchen“, sagt Svetlana. „Oder dass ich auf der Durchreise nach Holland wäre, um dort auf dem Feld zu arbeiten.“ Das habe ihr jemand aus der Firma gesagt.
Razzia gegen polnisches Pflegeunternehmen
Die Firma Senior VIP scheint nicht die einzige zu sein, die ukrainische Betreuungskräfte offenbar illegal nach Deutschland schickt. Im November durchsuchten die Ermittlungsbehörden in Deutschland und Polen in einer großangelegten Razzia 130 Wohn- und Geschäftsräume. Im Fokus: Die polnische Pflegevermittlung Pronobel und 71 Auftragsvermittler in Deutschland. Die Firma soll seit mehreren Jahren Ukrainerinnen nach Deutschland geschleust haben, um hier als Betreuungskräfte zu arbeiten. Die Frauen sollen als Touristinnen eingereist sein.
Zwar benötigen ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger seit 2017 kein Einreisevisum für die EU. Um von ihrem polnischen Arbeitgeber legal nach Deutschland entsendet zu werden, brauchen ukrainische Arbeitskräfte laut Zoll und Auswärtigem Amt entweder eine langfristige Aufenthaltsberechtigung für
Polen oder ein sogenanntes Vander-Elst-Visum.
In einer gemeinsamen Recherche des ARD-Magazins FAKT, der polnischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ und der „Süddeutschen Zeitung“ bestätigten mehrere aktuelle und ehemalige Mitarbeiterinnen von Pronobel, kein solches Visum gehabt zu haben. Die Frauen waren zwischen den Jahren 2018 und 2020 in Deutschland tätig.
„Diese Zahl nimmt zu“
In etwa 300.000 Familien in Deutschland arbeiten Osteuropäerinnen als Betreuungskräfte, so Schätzungen der Branche. Durch unterjährige Wechsel könnten es bis zu 700.000 Arbeitskräfte jährlich sein. Als „24-Stunden-Pflege“ werden sie oft angepriesen, obwohl die Frauen nur etwa acht Stunden am Tag arbeiten dürfen.
Die Branche ist bekannt für ihre schlechten Arbeitsbedingungen. Weil die Betreuungskräfte in Privathaushalten leben, sind Kontrollen kaum durchführbar. „Grauer Pflegemarkt“ nennen Experten das Feld.
Wie groß das Problem der illegalen Beschäftigung im ohnehin schon „grauen Pflegemarkt“ ist, ist kaum zu sagen. Bundespolizei und Zoll haben keine Daten. Doch Thomas Eisenreich, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Betreuungsdienste, geht von steigenden Zahlen aus. „Wenn ich mir die Zahl der Anzeigen in entsprechenden Zeitung anschaue, wenn ich mir anschaue, wie häufig solche Vermittler auf Facebook für diese Dienstleistung werben – diese Zahl nimmt zu“, so Eisenreich. „Der Markt wird also groß sein. Also wird auch die Zahl der Kräfte, die so beschäftigt werden, zunehmen.“
Niedrigere Löhne durch „Discounter-Prinzip“
Betreuungskräfte würden schon seit einigen Jahren aus immer weiter östlich liegenden Ländern gewonnen werden. „Das hat unter anderem den Grund, dass die Nachfrage steigt. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern“, so Eisenreich. „Und polnische und rumänische Arbeitskräfte kommen immer mehr dahin, dass sie verstehen, dass sie auch Geld fordern können, dass ihre Arbeit was wert ist.“
Verbandsgeschäftsführer Eisenreich sieht massives Lohndumping im Betreuungsbereich. Bild: MDR/FAKT
Nach eigener Aussage verdienen manche polnische Mitarbeiterinnen der Firma Pronobel mittlerweile fast 1500 Euro im Monat, die Ukrainerinnen hingegen nur etwa 800 Euro. Thomas Eisenreich nennt das „Discounter-Prinzip“: „Wenn die polnische Kraft mehr Geld fordert, dann werden Ausweichmöglichkeiten gesucht. Und dann geht es zum Beispiel in die Ukraine.“
Firmen äußern sich nur knapp
Für Svetlana, die in Sachsen gearbeitet hat, waren ihr Gehalt von 900 Euro viel Geld. Doch nochmal würde sie nicht illegal arbeiten, sagt sie. Denn mit der Illegalität komme die Hilflosigkeit, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren.
Die Familie, bei der sie gearbeitet hat, bestreitet die Vorwürfe. Sie seien sehr zufrieden mit Svetlana gewesen und bedauern, dass sie abgereist sei. Davon, dass sie illegal in Deutschland gewesen sei, wüssten sie nichts. Sie hätten sich auf ihren deutschen Pflegevermittler verlassen, der mit dem polnischen Arbeitgeber von Svetlana zusammenarbeitet.
Kein Kommentar vom Vermittler
Der Vermittler auf deutscher Seite, die Betreuungswelt GmbH, will sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern – „laufendes Ermittlungsverfahren“. Auch die polnischen Firmen antworten nur knapp. Schriftlich heißt es von Senior VIP, man versichere, dass sämtliche Handlungen der Firma in Übereinstimmung mit den verbindlichen Rechtsvorschriften stünden. Es sei zudem schwierig, auf die Anschuldigungen der anonymen Mitarbeiterin einzugehen.
Der Vorstandsvorsitzende der Firma Pronobel teilt mit, dass die Firma nicht interessiert sei, an der „beabsichtigten Ausarbeitung“ sowie „Nachforschungen“ teilzunehmen. Nicht wahrheitsgemäße Informationen über die Firma würden juristisch verfolgt.